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© Martin Jäschke

Frühjahrskurs 2024

Vier prallgefüllte, intensive Tage, viele Schreibübungen, viel Austausch über Texte, Tools und Tricks, Treatments und Kurz-Lektorate, und vor allem: wunderbarste Vernetzung – das war (kurz und knackig zusammengefasst) der Frühjahrskurs des Schreiblabors »Von der Idee zur Story« im März 2024, an dem 13 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren unter der Leitung des Berliner Autors Finn-Ole Heinrich teilgenommen haben. Was braucht es für eine gute Geschichte? Wie strukturiere ich meine Notizen und Plotskizzen? Wie erzähle ich meine Figuren? Was macht eine Szene aus? Solche und viele weitere Fragen wurden mit Übungen und der Arbeit an den eigenen Texten in die Schreibpraxis überführt – und beantwortet.

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Schreiblabor-Proben

Die ausgewählten Textauszüge geben einen kleinen Einblick in die Arbeit der Schreibwerkstatt von März 2024 – unter Leitung des Autors Finn-Ole Heinrich. Gute Unterhaltung!

Texte aus 2024

Auszüge aus der aktuellen Schreibwerkstatt

Antonia Fronz

Schreibaufgabe
Debatte, Phase zwischen der alten Welt und dem Aufbruch in die neue. Protagonist wägt ab, ob er »aufbrechen soll, oder nicht?«
Ich atme tief durch. Hebe das Handy. Wenn ich diesen Anruf tätige, habe ich mich entschieden. Dann gibt es kein zurück. Yulie wird mich hassen und ich habe meinen Traum. Ich bekomme das, was mir zusteht. Ich werde endlich das haben, wofür ich schon so lange arbeite. Ich werde endlich gewertschätzt. Dann ist es vorbei. Ich lasse das Handy wieder sinken.
»Will ich das wirklich? Ist es das, was ich möchte? Stopp. Ich habe mich längst entschieden. Ich werde Journalist. Yulie kam erst nach diesem Entschluss. Ich werde mich nicht von Gefühlsgedusel ablenke lassen. Ich wollte nie eine Beziehung. Ich habe gewusst, dass mir das nur im Weg stehen würde. Ich werde Journalist!«
Meine Hand hebt sich. Meine Finger tippen. Es tutet. Sekunden. Fünf. »Jasha, es freut mich, dass Sie sich entschieden haben. Willkommen im Team.«

Schreibaufgabe
Einstieg zweiter Akt. Das Abenteuer beginnt. Ängste des Protagonisten etc.
Es ist noch schöner als ich es mir vorgestellt habe. Es sieht aus wie der Himmel. Ich bleibe vor der Tür stehen. Beeindruckt von dem riesigen Gebäudekomplex. Wenn ich diesen Schritt gehe. Wenn ich diese Tür durchschreite, beginnt mein neues Leben. Das, von dem ich immer geträumt habe. Ich muss nur diesen einen Schritt machen. Nur ein Schritt. Dann lasse ich alles hinter mir. Mein ganzes, altes Leben. Und Yulie. Ich habe ihn verlassen. Endgültig. Jetzt hasst er mich. Einen Moment starre ich auf diese Tür. Die Tür, in eine andere Welt. Nein, das ist es, was ich will. Das. Ist. Mein. Traum. Und ich werde bekommen, was ich verdient habe. Die Leute werden endlich sehen, wie hart ich gearbeitet habe. Und es wertschätzen. Ein Schritt. Zwei. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss.

Suche einen Konflikt aus und schreibe eine Szene, die von dem Konflikt hervorgerufen wird. Das Problem sollte im Höhepunkt gelöst oder benannt werden.
»Du bist zu spät.«
»Ich weiß.« Yulies schöner Mund verzieht sich zu einem bitteren Strich.
»Ich warte seit einer Stunde auf dich.« Will er das jetzt wirklich diskutieren?
»Jetzt bin ich doch da.«
Die Antwort gefällt ihm nicht. Das sehe ich sofort. Seine Augenbrauen schießen provokant in die Höhe. »Wenn das hier … «, er macht eine ausladende Geste mit seiner Hand, »für dich nur eine Zwangsveranstaltung ist, musst du nur Bescheid sagen.«
Er sieht mich herausfordernd an. Ich kenne ihn gut genug. Ihm tut es weh, dieses Gespräch zu führen. Aber er weiß genauso gut wie ich, dass wir schon zu lange davor weglaufen. Wir wissen beide das es uns innerlich auffrisst. Scheiße. Warum ausgerechnet heute?
»Das ist keine Zwangsveranstaltung. Ich verbringe gerne Zeit mit dir, das weißt du. Ich bin dein fester Freund, da macht man … « Ich deute wie er vorhin um mich. » … so was doch. Oder?« Das war wieder falsch. Ich merke selbst wie genervt ich klinge. Und noch mal Scheiße. Warum müssen Beziehungen immer so kompliziert sein?
Er schnaubt nur. »Das macht man halt so. Stimmt. Ich gehe mit dir Essen, weil man das halt so macht. Ich schließe mein Geschäft extra einen Abend, weil du nur heute Zeit hast. Aber das macht man halt so, in einer Beziehung.« Er stößt eine trauriges Lachen aus. »Ich biete dir jetzt meine Hand an, weil man das so macht.« Er streckt mir seine Handfläche entgegen. Spreizt leicht die Finger. »Du musst jetzt meine Hand nehmen. Das macht man doch so?«
Ich atme angespannt ein. Ich spüre, wie sich mein ganzer Körper versteift. Dreimal Scheiße. Ich schreie innerlich: »Fuck. Fuck! Fuck!!« Ich habe es vermasselt. Mal wieder …

Johanna Marquordt

Für mich
Ich stehe im Bad und schaue in den Spiegel. Eigentlich wollte ich das reduzieren, aber ab und zu kommt das natürlich trotzdem vor. Ich begutachte mich und direkt schießt mir in den Kopf, was nicht perfekt ist. Meine schwarzen Haare könnten besser sitzen, meine Augenbrauen sind nicht perfekt gezupft und mein Gesicht ist ein Ticken zu rund. Aber das ist okay, ich muss nicht perfekt sein. Ich schaue mich noch etwas länger an und ich fange an zu mögen, was ich sehe.
Meine grünen Augen strahlen und meine Lippen verziehen sich zu einem süßen Lächeln.
Ich habe in den vergangenen Wochen so viel Wert daraufgelegt, wie ich aussehe, dass ich vergessen habe, dass der wichtigste Faktor ist, dass ich von Innen strahle.
Für die Meinung anderer habe ich mein Bild über mich komplett verloren. Ich habe mir Farbe aufs Gesicht gemalt, weil ich in mir keine mehr hatte. Ich habe zu wenig gegessen und zu viel Sport gemacht und bin nicht mehr aus diesem selbstzerstörerischen Strudel rausgekommen, bis ich fast komplett darin versunken wäre. All das habe ich gemacht, damit mich andere schön finden und ich es selber auch tun kann. Aber was bringt es mir, wenn ich hübsch und dünn genug aussehe, aber unglücklich bin? Was zur Hölle habe ich davon?
Die Antwort ist nichts, absolut nichts.

Denn als ich jetzt die Augen schließe, fühle ich etwas viel Besseres als das Gefühl gut auszusehen. Ich fühle mich. Als wäre ich gerade in diesem Moment bei mir angekommen. Ich spüre eine gewisse Wärme in mir. Zufriedenheit, Ausgelassenheit, Freude. Und so viel Liebe als die Klänge von »I Guess I‘m in Love« in meinen Ohren ertönen.
Und auch wenn diese Gefühle gerade nicht für jemanden anderen gelten, haben sie eine viel wichtigere Bedeutung. Denn ich glaube, dass ich endlich auch ein bisschen in mich verliebt bin. Nicht auf eine komische Weise. Auf die schönste. Denn ich mag mich. Endlich. Ich freue mich darauf, die kommende Zeit mit mir zu verbringen. Zu erleben, wie ich fühle.
Ich habe so Bock auf mein Leben, ich verspüre so viel Inspiration. Für meine Leidenschaften, für meine neuen Freunde, für alles. Ich weiß noch nicht, wohin mich mein Leben führen wird, aber ich werde allem mit offenen Armen begegnen. Denn das Leben ist ein Wunder, und wir haben selbst in der Hand, was wir aus unserem machen. Wem wir die Macht über unsere Zufriedenheit und unser Glück geben. Einem Teufel in unserem Kopf, der bloß darauf bedacht ist, zu kontrollieren, was andere von einem halten, ob man genug für sie ist oder ob man irgendwelchen irrationalen Maßstäben entspricht? Oder unserem Herzen, das für uns schlägt und dafür, was wir im Leben wollen!
In diesem Moment schwöre ich mir, dass ich für letzteres kämpfen werde.
Für mich!

Paula Schütze

Szene 1
Rolf steigt aus unserem Rolls Royce aus und läuft um den Wagen herum, um mir die Tür aufzumachen. Theoretisch könnte ich das schon längst selbst, aber meine Eltern wollen lieber auf Nummer Sicher gehen, damit mir auch bloß nichts passiert. Das ist oft ganz schön anstrengend.
Aus dem Kofferraum gibt er mir mein türkises Surfboard, dass ich erst seit zwei Monaten besitze. Mit einem fachkundigen Ausdruck auf dem Gesicht erklärt mir Rolf die Strömung am heutigen Nachmittag, während ich mich nochmal ordentlich eincreme. Rolf ist übrigens nicht nur mein Chauffeur, sondern auch mein Aufpasser. Und das so ziemlich überall. Da er passenderweise zusätzlich eine Ausbildung als Surflehrer hat, haben ihn meine Eltern eingestellt.
Als ich auf die ersten Wellen zulaufe, die mir schon in einem schnellen Tempo entgegenkommen, bemerke ich ein großes Schiff weit draußen im Meer. Man konnte von hier schon oft Containerschiffe beobachten, aber mir wurde nie erklärt, für was die eigentlich sind. Zu unserer Insel ist noch nie so ein riesiges Schiff gekommen. Auch meine Eltern erzählen darüber nichts, da es mit der Außenwelt zu tun hat. Und über die Welt außerhalb unserer Insel wird grundsätzlich nicht geredet … Ich weiß den Grund dafür nicht und frage mich deswegen immer öfter, was wohl auf dem Festland passiert. Besonders, wenn ich auf den fast nicht sichtbaren Horizont starre, der sich mit dem Blau des Ozeanes vermischt.
Ich lege mich auf mein Board und fange schließlich an, loszupaddeln. Mit einer der ersten Wellen werde ich wieder in Richtung Strand getragen und bekomme die Kulisse von »Elite Island« vor Gesicht. Man kann, durch die unzähligen bunten Lichter, das Zentrum der Insel mit dem Freizeitpark und dem Riesenrad erkennen. Auch wenn das hier meine Heimat ist, fühle ich mich nicht wirklich verbunden mit ihr. Klar, es ist alles super ausgestattet und man hat keine materiellen Sorgen oder so, aber trotzdem bin ich auch komplett abgeschottet von der restlichen Welt. Ich habe mir schon seit Langem einen Urlaub auf dem Festland gewünscht, aber meine Eltern fliegen mit mir immer nur zu der nächstgelegenen Insel, die unserer eins zu eins gleicht. In der restlichen Welt sieht es bestimmt ganz anders aus. Dadurch, dass mir niemand etwas über sie erzählt und mir meine Eltern auf gar keinen Fall ein internetfähiges Gerät kaufen wollen, existiert sie hauptsächlich in meiner Vorstellung. Ich glaube, das Festland ist aufregend und man langweilt sich nie, weil es neue Leute gibt und noch mehr Freizeitparks. Und alles ist viel größer.
Gerade werden auch die Wellen größer und ich paddele wieder heraus. Wenn ich surfe, habe ich das Gefühl, frei zu sein. Dieses habe ich sonst nur selten und deswegen genieße ich es auch so.
Rolf winkt mir vom Strand aus zu und ich seufze. Die Zeit ist schon wieder viel zu schnell vorbeigegangen. Ich möchte gerade das Board wegpacken, da sehe ich Rolf auf seinem Handy wild rumtippen und frage mich, was er da gerade wohl klären muss, denn mittlerweile bilden sich auf seiner Stirn ein paar kleine Falten. Ich würde so gern wissen, mit wem er da wohl schreibt, und mich überkommt mal wieder das Bedürfnis, auch vernetzt mit der restlichen Welt zu sein…

Annika Uchatius

Die Pfütze sah ein bisschen aus wie ein Tier. Vielleicht ein Fuchs. Betty stand an ihrem Rand, sodass die Spitzen ihrer Gummistiefel gerade so das Wasser berührten, und schaute hinunter. Sie schaute sich selbst an, das verschwommene Spiegelbild eines vergeisterten Mädchens. Selbst in dem dunklen Wasser waren ihre Augenringe deutlich zu erkennen. Ein Tropfen landete auf Bettys Haaren. Und noch einer: Es hatte wieder begonnen zu nieseln.
Sie griff nach ihrer Kapuze und zog sie sich über die Locken. Kurz noch schaute sie auf die Pfütze, bevor sie hineinsprang. Platsch! Das Wasser spritzte hoch, aus dem Fuchs wurde ein unförmiger Kreis, ihr Spiegelbild löste sich auf.

Betty ging weiter. Sie wusste nicht einmal, warum sie eben stehengeblieben war oder woran sie gedacht hatte. Das passierte ihr in letzter Zeit öfter. Es gab Momente, in denen sie sich nicht dazu in der Lage fühlte, einfach weiterzugehen, weiterzumachen. So als wäre nichts geschehen. Diese Momente kamen manchmal angekrochen, dann verdunkelten die Traurigkeit und die Hilflosigkeit langsam den Himmel – oder aber sie kamen ganz plötzlich wie ein Sturzregen, den niemand erwartete und den kein Regenschirm der Welt abhalten konnte. Das waren die schlimmsten. Die echten Tropfen waren Betty tausendmal lieber als die ihrer Trauer. Fast schon freute sie sich über das kalte Wetter, es passte so viel besser zu ihrer Stimmung als die goldenen Strahlen der Spätsommersonne.
Das Nieseln wurde allmählich zu einem wirklichen Regen und verwandelte all die kleinen Pfützenteiche, die vom letzten Schauer auf den Wegen übriggeblieben waren, in Seen.

Betty sprang in einige hinein und schaute wieder und wieder zu, wie das Wasser spritze und dunkle Flecken auf ihrer Hose entstanden. Ihre Gummistiefel bewahrten sie zwar vor nassen Füßen, aber ihre Jacke hielt nicht sonderlich warm und sie begann zu frieren. Nur fünf Minuten würde sie nach Hause brauchen, wenn sie sich jetzt beeilte – aber sie wollte sich nicht beeilen. Zu Hause warteten nur leere Räume und das verzweifelte Gesicht ihrer Mutter auf sie. Anstatt sich zu beeilen, ging sie also noch langsamer, lief Zickzack und starrte minutenlang in Schaufenster. Sie bog sogar in eine Straße ab, die sie gar nicht entlang gehen musste, um nach Hause zu kommen. Tatsächlich konnte Betty sich nicht erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Es war ihr bis jetzt nicht einmal aufgefallen, dass es diese Kreuzung gab. Dabei ging sie jeden Tag auf dem Weg zur Schule und auf dem Weg von der Schule nach Hause hier entlang. Seltsam. Andererseits war die Straße sehr schmal, es handelte sich vielmehr um eine Gasse, die Häuser standen eng und es gab anscheinend auch kein Straßenschild, da konnte man sie leicht übersehen. Direkt an der Ecke lag ein Bäcker, aber die Theke war schon fast leer gekauft, nur ein paar verlorene Brötchen und Croissants und drei Stücke Kuchen konnte Betty erkennen. Sie ging weiter. Die nächsten Gebäude sahen aus wie gewöhnliche Wohnhäuser, erst als sie schon ein paar hundert Meter gegangen war, entdeckte sie wieder ein Geschäft. Die Kälte war inzwischen unter ihre Haut gekrochen und Bettys vordere Haarsträhnen, die unter ihrer Kapuze hervorlugten, waren komplett durchnässt. Eigentlich wollte sie jetzt doch nach Hause. Aber das Ladenschild an der Hauswand interessierte sie. Es zeigte ein goldenes, aufgeschlagenes Buch. Betty liebte es, zu lesen, aus der Realität in aufregende Welten zu fliehen und immer wieder neue Freunde zu finden, auch wenn diese nur aus Druckerschwärze bestanden.

So trat sie an das Schaufenster heran und blickte in einen spärlich beleuchteten Raum, in dem sich ein Labyrinth aus Bücherregalen zu befinden schien. Betty warf einen Blick auf die Ladentür neben ihr. »Offen« stand da in schnörkeliger Schrift auf einem Stück Pappkarton, das von einem Nagel im Holz der Tür hing. Nur kurz zögerte sie, dann hatte sie schon die Klinke hinunter gedrückt. Ein Klingeln ertönte, als sie über die Schwelle trat. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, sperrte Nässe und Kälte aus und dämpfe das Prasseln der Tropfen. Auf einmal war es still. Betty ging ein paar Schritte in den Laden hinein und schaute sich um. Der Raum war viel größer und verwinkelter, als sie von außen vermutet hatte. Und trotzdem konnte man sich kaum bewegen, weil jeder Meter für Bücher genutzt wurde. In Regalen aus dunklem Holz, auf kleinen Tischen oder einfach auf Stapeln: Überall waren Bücher. Nur schmale Gänge und einzelne Ecken, in denen Sessel oder Lampen standen, blieben frei.

Vielen Dank für die Unterstützung!

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