michael kumpfmüller
In schöner Regelmäßigkeit ereifert sich das Feuilleton darüber, dass es den Autoren an Lust, Laune oder Mut fehle, sich den „großen” politischen Gegenwartsthemen zuzuwenden. Stattdessen widme sie sich dem melancholischen Latte-Macchiato-Genuss junger Frauen. Der Berliner Michael Kumpfmüller hält nichts von solchen Beschränkungen und wagte sich mit seinem Erstling „Hampels Fluchten” auf das Minenfeld des gesellschaftskritischen Romans. Auch „Nachricht an alle” (Kiepenheuer & Witsch) riskiert etwas: Im Mittelpunkt steht ein Innenminister namens Selden, Anfang fünfzig, der seinen Geschäften in einem Deutschland sehr ähnelnden Land nachgeht. Sein privates wie politisches Leben verändert sich, als eine SMS von seiner Tochter Anisha eintrifft: „O mein Gott. Es hat eine Explosion gegeben. Es ist entsetzlich. Wir stürzen ab. Betet für mich. Ich liebe Euch.” Alles Hoffen ist vergebens: Anisha überlebt dieses mysteriöse Flugzeugunglück nahe Roms nicht, und der als ungemein konsequent geltende Selden gerät kurzzeitig aus der Bahn. Freilich bleibt ihm kaum Zeit, diesen Schlag zu verdauen. Denn sein Land sieht sich vielfachen Erschütterungen ausgesetzt und verlangt nach einem starken Innenminister. Während die terroristischen Bedrohungen allgegenwärtig sind, formiert sich allmählich in den Straßen ein gewalttätiger Unmut, Auseinandersetzungen, wie man sie zuletzt in der Banlieue von Paris erlebte. Und nicht zuletzt gerät Seldens Ehe mit der Malerin Britta aus den Fugen, zumal sich sein Kontakt zu der Journalistin Hannah intensiviert. Kumpfmüller stimmt in seinem Roman einen vielschichtigen Abgesang auf die Sicherheiten vergangener Tage an. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen zu bleiben, und was die westlichen Demokratien gestern noch zusammenhielt, droht verloren zu gehen: „Manchmal beschlich ihn der Verdacht, dass sie zu spät kamen. Was immer sie taten, jetzt oder in naher Zukunft, es kam zu spät. Sie waren müde. Der ganze Westen war müde, er hatte gewonnen, wollte aber nicht verteidigen, was er gewonnen hatte, so dass es am Ende fast egal war, ob er von innen oder von außen den Todesstoß bekam.” Mit Michael Kumpfmüller spricht der RBB-Redakteur und Kritiker Claus-Ulrich Bielefeld.
In schöner Regelmäßigkeit ereifert sich das Feuilleton darüber, dass es den Autoren an Lust, Laune oder Mut fehle, sich den „großen” politischen Gegenwartsthemen zuzuwenden. Stattdessen widme sie sich dem melancholischen Latte-Macchiato-Genuss junger Frauen. Der Berliner Michael Kumpfmüller hält nichts von solchen Beschränkungen und wagte sich mit seinem Erstling „Hampels Fluchten” auf das Minenfeld des gesellschaftskritischen Romans. Auch „Nachricht an alle” (Kiepenheuer & Witsch) riskiert etwas: Im Mittelpunkt steht ein Innenminister namens Selden, Anfang fünfzig, der seinen Geschäften in einem Deutschland sehr ähnelnden Land nachgeht. Sein privates wie politisches Leben verändert sich, als eine SMS von seiner Tochter Anisha eintrifft: „O mein Gott. Es hat eine Explosion gegeben. Es ist entsetzlich. Wir stürzen ab. Betet für mich. Ich liebe Euch.” Alles Hoffen ist vergebens: Anisha überlebt dieses mysteriöse Flugzeugunglück nahe Roms nicht, und der als ungemein konsequent geltende Selden gerät kurzzeitig aus der Bahn. Freilich bleibt ihm kaum Zeit, diesen Schlag zu verdauen. Denn sein Land sieht sich vielfachen Erschütterungen ausgesetzt und verlangt nach einem starken Innenminister. Während die terroristischen Bedrohungen allgegenwärtig sind, formiert sich allmählich in den Straßen ein gewalttätiger Unmut, Auseinandersetzungen, wie man sie zuletzt in der Banlieue von Paris erlebte. Und nicht zuletzt gerät Seldens Ehe mit der Malerin Britta aus den Fugen, zumal sich sein Kontakt zu der Journalistin Hannah intensiviert. Kumpfmüller stimmt in seinem Roman einen vielschichtigen Abgesang auf die Sicherheiten vergangener Tage an. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen zu bleiben, und was die westlichen Demokratien gestern noch zusammenhielt, droht verloren zu gehen: „Manchmal beschlich ihn der Verdacht, dass sie zu spät kamen. Was immer sie taten, jetzt oder in naher Zukunft, es kam zu spät. Sie waren müde. Der ganze Westen war müde, er hatte gewonnen, wollte aber nicht verteidigen, was er gewonnen hatte, so dass es am Ende fast egal war, ob er von innen oder von außen den Todesstoß bekam.” Mit Michael Kumpfmüller spricht der RBB-Redakteur und Kritiker Claus-Ulrich Bielefeld.